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nisation im Zusammenhang mit den neuen Mi-
litärartikeln. Im Zentrum hitziger Diskussionen
stand vielmehr die Frage der richtigen soldati-
schen Erziehung.
Den Hintergrund dieser vehement geführten
Auseinandersetzung bildete die seit der Mitte
des 19. Jahrhunderts sich stetig beschleunigende
Weiterentwicklung der Waffentechnologie, so
etwa die Einführung von Hinterlader-Geweh-
ren, welche ganz neue Anforderungen an die
Führung und Truppen stellte. Die traditionelle
Kampfführung mit ihren geschlossenen Linien
war gegenüber der neuen geballten Feuerkraft
nicht mehr aufrecht zu erhalten. Sollte die
Kriegführung auch weiterhin Aussicht auf Erfolg
haben, mussten deshalb neben neuen Taktiken
eine neue Kampfmotivation und damit neue
Vorstellungen über Krieg, Volk und Staat, be-
ziehungsweise über Kampf, Existenz und Ver-
nichtung entwickelt und den wehrpflichtigen
Bürgern vermittelt werden. In der Schweiz des
19. Jahrhunderts wurde die «Probe des Krie-
ges» häufig zum Urteil über die Existenzberech-
tigung des Staates stilisiert. Über die Motivation
hinaus erschien angesichts der psychologischen
Belastung in einem modernen Gefecht eine
intensive mentale Erziehung der Soldaten als
zwingend.
An diesem Punkt setzte die sogenannte «Neue
Richtung» an. Diese Gruppe von Offizieren um
den späteren General UlrichWille war der Über-
zeugung, dass einer der kriegsentscheidenden
Faktoren und damit eines der Hauptziele der
militärischen Erziehung, das reflexartige Aus-
führen von Befehlen durch die Soldaten sein
musste. Die soldatische Disziplin verband Wille
dabei mit der Vorstellung einer neuen Männ-
lichkeit. Erst die Militärerziehung machte aus
dem schlaffen, weiblich konnotierten Zivilisten
einen männlichen Soldaten, dem die Disziplin
nicht ein niederdrückendes, beschämendes Ge-
fühl sondern das Bewusstsein der eigenen Kraft
vermittelte. Diesem so erzogenen Soldaten ge-
genüber hatten Offiziere zu stehen, die durch
ihre imponierende Sicherheit imAuftreten selbst-
verständlichen Gehorsam hervorriefen. Die Neue
Richtung war bestrebt, diesen Offizieren eine
vom Zivilen unabhängige militärische Autoritäts-
ausübung zu ermöglichen und den Soldaten
eine ausschliesslich militärische Disziplin anzu-
erziehen. Die Stellung in der Zivilgesellschaft
sollte nur soweit zum Tragen kommen, wie sie
die Autorität der Offiziere und die Disziplin der
Mannschaft stützte. Ansonsten war nach Willes
Ansicht eine scharfe Trennlinie zwischen Bürger
und Soldat zu ziehen, wobei der Soldat mit dem
Anziehen der Uniform auf eine ganze Reihe sei-
ner bürgerlichen Rechte zu verzichten hatte.
Demgegenüber betonte die «Nationale Rich-
tung» als Gegenpartei der Neuen Richtung die
enge Verbundenheit zwischen Staatsbürger
und Bürgersoldat. Der Bürger war Träger der
staatlichen und zugleich militärischen Selbst-
verwaltung. Die Offiziere unterschieden sich
bloss durch weitergehende, vor allem techni-
sche und wissenschaftliche Kenntnisse und
durch ihren eigenen vorbildhaften Gehorsam.
1907
Ausrüstung und Ausbildung der
Armee sind ungenügend.
↓ v.l.n.r.: General, Armeekorpskom-
mandant, Infanteriebrigadekomman-
dant, Dragoner, Guiden-Unteroffizier
als Träger der Generalstandarte,
Divisionskommandant, Sanitätsmajor.
1900
Die Akademiker stellen den
grössten Teil der Offiziere.